Unforgettable Days – Anglesey 2007
Bericht von Bert Stein
Fotos: Jan Boll, Bert Stein
Ich glaube, das spielerische Potential am Seekajakfahren
liegt mir mehr als knüppelharte Langstrecken. So war
ich letztes Jahr bei der Tour Ostfriesische Inseln mit
Christian Harms auch ziemlich enttäuscht, dass ich auf
Juist nicht mit in die Brandung konnte, da ich gesundheitliche
Probleme hatte.
Bei einem Telefongespräch letzten Herbst schlug Peter
mir vor: „Komm doch mit nach Anglesey!“
Tja, da würde ich bestimmt Gelegenheit zum Spielen
bekommen (Der Konsum einschlägiger TITS-DVD’s geht eben
nicht spurlos an einem vorüber) – und ich würde sicher
auch erfahren, wo meine Grenzen liegen.
Ein wenig mulmig wurde mir natürlich schon bei Peters
ermunternden Worten: „Ja, was du bis jetzt auf Ost-
und Nordsee erlebt hast, kannst du damit nicht vergleichen...“
Ich begann sofort mit der Intensivierung meines Rollentrainings
– da ich mich pausenlos kopfüber durch die einschlägigen
tidal races treiben sah. Da hier in Dresden Seekajaker
eher selten sind, fand ich eine Gruppe Wildwasserfreaks,
die eine Schwimmhalle zu nächtlicher Stunde gemietet
hatten. Mit meinem Anas Acuta war ich unter den ganzen
Spielbooten zwar ein Exot, aber ich wurde freundlich
aufgenommen.
Im Februar ging es dann ans Buchen der Fähre bei
DFDS Seaways. Es war inzwischen auch klar, das ich Klaus-Jürgen
Boll mitnehmen würde.
Am 1. Mai starteten wir, Peter mit Jan und Klaus
und ich, von Kiel Richtung Esbjerg. Nach der Überfahrt
nach Harwich ging es quer durch England und am Abend
des 2. Mai waren wir am Ziel - dem Anglesey Outdoor
Centre. Der zentrale Punkt zum Essen und Snacken wurde
Jans Tipi.
Am Donnerstag (3. Mai) Vormittag erkunde ich mit
Jan bei strahlendem Sonnenschein die Küste per pedes.
Von oben werfen wir einen Blick auf Penrhyn Mawr. Momentan
sieht es recht friedlich aus.

Am Nachmittag geht es aufs Wasser - für mich das
erste Mal, dass ich mein Kajak in den Atlantik schiebe.
Ich bin zwar mit der Küstenformation des Atlantik etwas
vertraut - aber nicht aus dem Blickwinkel eines Seekajaks.
Wir lenken unseren Bug Richtung South Stack - ein
schneeweißer Leuchtturm auf einem Fels, eine Unmenge
Trottellummen und das gleichmäßige Auf und Ab der Wellen
- traumhaft. Kurz hinter dem Idyll saust der Gezeitenstrom
vorbei, abgetrennt durch eine entsprechende Verschneidungszone.
"Eine gute Gelegenheit das Ein- und Ausschwingen
zu üben", vernehme ich Peter. Tja - Anlauf, Hochkanten,
flache Stütze - theoretisch ist mir das klar und praktisch
haben wir es im F-Kurs mit Christian mal hinter einer
Pricke probiert. Nur hier ist wesentlich mehr Bums dahinter
- das ist schon rein optisch zu erkennen. Aber es funktioniert!

Das war für den ersten Tag genau die richtige Dosis.
Aber abends im Tipi ereilt mich schon die nächste Lektion.
Klaus mustert mit verächtlichem Blick meine Tütensuppen
& Co. und teilt mit, dass diese zur Ernährung eines
Seekajakers völlig ungeeignet seien. Es stellt sich
heraus, dass Klaus nicht nur ein waschechter Seebär,
sondern auch ein ambitionierter Outdoor-Koch ist. Die
Rotweinflaschen finden etwas mehr Anklang – Doping macht
eben auch vorm Seekajaksport nicht halt.
Am Freitag ist Penrhyn Mawr angesagt. Peter und Klaus
rechnen schon am richtigen Zeitpunkt für optimale Strömungsbedingungen,
während ich noch versonnen am Kaffee nippe. Zu viert
steuern wir auf das Race zu, welches nicht allzu weit
von unserer Startbucht Porth Dafarch entfernt liegt.
Allzu viel Zeit zum Staunen und Wundern bleibt nicht,
denn schon saugt uns die Stromzunge zwischen zwei größeren
Felsen zügig ein. Ich verhole mich ins Kehrwasser –
muss aber feststellen, dass ich hier auch nicht ewig
herumdümpeln kann, denn überall pilzt und wirbelt es
und ich werde immer wieder Richtung Verschneidungszonen
gedrückt. Nachdem ich mir einen groben Überblick verschafft
habe, lasse ich mich auf der Außenseite des Stromes
durch die stehenden Wellen spülen – ein Mordsspass.
Noch mit meinem Adrenalinschub beschäftigt, realisiere
ich recht spät, wie zügig die Küste an mir vorüberzieht
und wie weit die Kameraden entfernt sind. Ich paddele,
was das Zeug hält und brauche ewig, bis ich mich
wieder ans Kehrwasser herangearbeitet habe. Jetzt ist
eine Pause im ruhigeren Kehrwasser nötig, um wieder
zu Kräften zu kommen. Danach bin ich wieder an den Wellen
auf der Außenseite und will nun auch wissen, wie die
sich surfen: ein paar kurze Paddelschläge genügen und
der Turbo zündet. Es macht immer mehr Spaß – aber es
kostet enorm viel Kraft und Kondition.
Im Outdoor Centre hat sich inzwischen eine stattliche
Zahl Seekajaker aus aller Herren Länder eingefunden.
Die Einschreibung für die Events des Symposiums ist
in vollem Gange.
Am Sonnabend entscheide ich mich für ein Nachmittagspaddeln.
Bei herrlichem Wetter erkunden wir die Küstenlinie in
südlicher Richtung – Zeit, um das Meer und die Steilküste,
die Felsen und Buchten auf sich wirken zu lassen.

Auch am Sonntag trifft sich die bunte Teilnehmerschar
um neun Uhr im Versammlungszelt und es wird bekannt
gegeben, dass der Wind über Nacht die Verhältnisse auf
dem Wasser etwas rauer gestaltet hat. Viele der
Teilnehmer möchten ins Race und so werden drei Gruppen
gebildet – eine Gruppe der Heroen, eine mittlere Gruppe
und eine, die eher an den Anfängen interessiert ist.
Ich geselle mich zur letzteren. Für uns steht auch nicht
Penrhyn Mawr auf dem Programm, sondern wir starten von
Trearddur Bay zu einem kleineren Race. Sowie wir die
Bucht verlassen wird klar, was mit „etwas rauer“ gemeint
ist – solch einen Seegang habe ich bisher noch nicht
erlebt und es ist definitiv ein sehr intensives Erlebnis.
An Spielen im Race ist nicht zu denken, da mittlerweile
nicht mehr alle Teilnehmer im Boot sitzen und Rowland,
unser Coach, mit Retten beschäftigt ist.
Die „Heldengruppe“ ist in Penrhyn Mawr auch nicht
zum Zug gekommen, da die Bedingungen einfach zu heftig
waren.
Das verlängerte Wochenende hielt zum Abschluss noch
zwei Höhepunkte bereit: Eine Hubschrauberrettung der
Coastguard, bei der die Masse der Teilnehmer das Geschehen
von der Landzunge an der Seite der Bucht verfolgte und
die Taufe meines Kajaks.

Ein so schöner, gelber Anas Acuta und noch immer
kein Name am Bug – das sei absolut nicht in Ordnung,
befanden Klaus, Peter und Jan unisono. Ich verstand.
Am Dienstag wurde der Aufklebe-Schriftzug in Holyhead
beschafft und ich hatte außerdem die Gelegenheit, zu
sehen, wie Nigel Dennis Kayaks und Rockpool Kayaks gefertigt
werden. Abends war es dann soweit: „Hiermit taufe ich
dich auf den Namen kuikka“ (finnisch für Prachttaucher),
war Peter zu vernehmen und Champus ergoss sich über
den Bug...

Ein schöner Abschluss von ein paar wunderschönen
Tagen mit wunderbaren Menschen – eben unforgettable
days.
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