Andreas Thier
Ein Paddeltag
Welch ein Tag! Die Uhr zeigt 09:40. Wolkenloser Himmel, es ist
brütend heiß, obwohl die Sonne noch nicht im Zenit
steht. Von Wind keine Spur. Die See ist ruhig, sehr ruhig. Die
Oberfläche gleicht eher Öl als Wasser. Die Position
ist etwa eine halbe Seemeile westlich der Hucke' und die
Paddeltour' heißt Hiddenseemarathon 2005. Der Streckenverlauf
ist einfach. Stralsund - im Uhrzeigersinn um Hiddensee - Stralsund.
40,5 Seemeilen. Mit einer kurzen Verzögerung wurde das Rennen
gegen 0620 gestartet.
Achtzehn Seemeilen liegen bereits im Kielwasser. Achtzehn Seemeilen,
das bedeutet etwa vierzehn- bis fünfzehntausend Paddelschläge.
Und es liegen auch noch zweiundzwanzig Seemeilen vor dem Bug.
Eine echte Herausforderung. Aber es ist eben auch dieses Lächeln
da.... Es läuft gut Der Körper schnurrt wie ein Uhrwerk.
Alles im grünen Bereich'. Die Vorbereitung hat sich
gelohnt. Kurzum - Es macht einfach Spaß. Von den hohen Temperaturen
abgesehen sind die Bedingungen eine wahre Freude. Mitlaufender
Strom im Strelasund unterstützt die Teilnehmer auf dem Weg
nach Barhöft. Von Beginn an ein schnelles Rennen. Zudem ist
ab Mittag NW Wind prognostiziert. Super!
Boote
Schnelle Boote - langsame Boote. Das klassische Thema bietet natürlich
gerade auf so einer Veranstaltung viel Gesprächsstoff. Und
hier gehört die Diskussion auch wirklich hin. Alle Teilnehmer
bewegen sich in einem Geschwindigkeitsbereich, der oberhalb der
des Durchschnitt-Wanderpaddlers liegt.
Oberhalb von vier bis viereinhalb Knoten sind die physikalischen
Unterschiede der verschiedenen Bootstypen nicht zu leugnen. Gerade
bei den herrschenden Flachwasser-bedingungen kommen sie auch deutlich
zu tragen. Und man darf natürlich auch nicht vergessen, die
sportlich ambitionierten Cracks fahren natürlich auch die
heißen Kisten. Da wirken zwei schnelle Kräfte in die
gleiche Richtung.
Eigene Versuche stützen die Erkenntnis, dass in diesem Geschwindigkeitsbereichbereich
durchaus Unterschiede von 0,2 bis 0,5 Knoten bei gleichem Krafteinsatz
bestehen. Genau diese Überlegungen gehen bei dem öligen'
Wasser durch den Kopf. Die Bugwelle des Anas Acuta' signalisiert,
dass das Boot quasi die optimale Verdrängerfahrt erreicht
hat. Viel mehr Krafteinsatz' führt dann leider nicht
zu viel mehr Geschwindigkeitszunahme'. Dennoch sind selbst
nach zwanzig Seemeilen noch etliche von den Schnellen zu sehen.
Das lässt immerhin eine gewisse Zufriedenheit aufkommen.
Weiter geht's
Noch immer ist der Himmel wolkenlos. Der Paddelrhythmus ist harmonisch.
Frequenz und Krafteinsatz stehen in einem ökonomischen Verhältnis.
09:50 Überraschenderweise liegt die Geschwindigkeit auch
seeseitig zwischen 4,5 und 5,0 Knoten. Überschlagsweise müsste
eine Gesamtzeit um 8 Stunden zu realisieren sein. Smile! Die Veränderung
wird zunächst gar nicht richtig bewusst. Angenehm streicht
die kühle Luft über das Gesicht. Kühle Luft ? Moment,
wo kommt denn kühle Luft her ? - Von NW setzt eine ganz leichte
Brise ein. Noch immer keine Wolke am Himmel. Das fühlt sich
nicht so richtig gut an. Der Blick auf die Karte verrät,
noch zwei Seemeilen bis zur Kursänderung in Richtung Boddeneinfahrt.
Also lieber etwas Speed zulegen. Nach dem Runden des Enddorn'folgt
eine kurze Landpause zum Pinkeln. Einmal Recken und Strecken den
Rückengurt etwas justieren und nach 10 Minuten schnappt die
Spritzdecke wieder zu.
Surf
Der Wind nimmt drastisch zu. Wie mit einem umgelegten Schalter
aktiviert, frischt Starkwind aus NW auf. Bei den ersten Wellen
ist es eine willkommene Abwechselung leicht geschoben zu werden.
Schnell werden die Wellen in der Mündung zwischen Bessinscher
Schaar' und Der Bug' aber steil und hoch. Aufgrund der Gewässereigenheiten
sind die Wellen recht kurz. Nicht gerade ideal zum Surfen aber
sie bieten dennoch Vortrieb. Die Bootsgeschwindigkeit nimmt wieder
zu. Wow ! Nun denke ich mir "yes - mit dem Anas Acuta'
hast Du genau das richtige Boot unterm Hintern...". Heckruder,
gelegentlich stützen und ab geht die Post...
Im Fahrwasserbereich ist ein Kajaker zu erspähen. Um die
Schutzzone des Naturparkes nicht zu verletzen, muß ich meinen
Kurs eh in Richtung Fahrwasser abstecken. Wirklich schnell geht
es voran. Wir kommen uns allmählich näher. Ich erkenne
Tanja mit ihrem Sirius.
Die Boddenansteuerung ist erreicht. Die Wellen sind nicht mehr
ganz so heftig aber erfordern dennoch Konzentration. Der Wind
scheint noch an Stärke zu gewinnen.. Meine Posiotion ist
östlich von Tanja. Ein Motorboot der hervorragenden und verantwortungsbewussten
Rennleitung des Stralsunder-Kanu-Club e.V. kommt auf Rufweite
längsseits. Per Seefunk wurde eine Starkwindwarnung bis 8
Bft herausgegeben. Die Windspitze soll unser Seegebiet in 1,5
Stunden errreichen. Danke für die Info ! Ich informiere Tanja
und wir tauschen uns kurz darüber aus. - Ok. Das ist zu wuppen.
Denn mal fix 'nach Hause'. Wir sind zuversichtlich hinsichtlich
schnell zurückzulegender verbleibender sechzehn Seemeilen.
Seefunk
Nach einer letzten fahrwasserbedingten Kursänderung von etwa
0,75 sm westwärts, geht es definitv gen Süden in Richtung
Schaproder Bodden und Strelasund. Kurze Zeit später steuert
uns ein Kutter der Nationalparkverwaltung (?) an. Tanja steuert
nahe an den Kutter um eine Chance zu haben das Gerufene zu verstehen.
Per Seefunk gab es eine Unwetterwarnung. Gewitter, Starkregen
und Sturmböen. Das Rennen wird abgebrochen. Wir erhalten
Order den Hafen von Schaprode anzusteuern. Nach fast dreißig
Seemeilen in etwa 5:45 Stunden erreichen wir das ruhige Hafenbecken.
Schade. Schade. - In zwei Stunden wäre Stralsund erreichbar
gewesen.... Klar es ist schon eine gewisse Enttäuschung.
Allerdings sind alle noch in Schaprode einlaufenden Paddler erfahren
genug, um die Entscheidung (auch im Nachhinein) ohne wenn und
aber zu akzeptieren. Die Spitzengruppe war zum Zeitpunkt der Entscheidung
schon weit genug durch, dass es für sie nicht mehr so kritisch
war. Dennoch war es sicherlich gut, dass das Unwetter letztendlich
knapp nördlich durchgezogen ist und somit niemand in Gefahr
war. Während sich das Feld in Schaprode sammelt, nähert
sich die Spitzengruppe Stralsund.
Ende?
Nein. Der sportliche Teil des Hiddenseemarathons 2005 hat zwar
somit sein Ende gefunden. Die Veranstaltung an sich, ist allerdings
noch lange nicht beendet. Mit viel Einsatzbereitschaft der tollen
Crew des Stralsunder-Kanu-Club e.V. und der Marine werden die
restlichen Teilnehmer eingesammelt und die Kajaks auf eine Barkasse
der Marine verladen. Auf dem Weg zur Marineschule wird noch ein
Sportboot, welches von der Vierendehl Rinne' abgewichen
ist, freigeschleppt. In der Marineschule stehen schon helfende
Hände mit Fahrzeugen und Trailer bereit um den Transfer zum
Vereinsgelände abzuwickeln.
Wieder beim Stralsunder-Kanu-Club e.V. angekommen, steht bereits
Kaffee und Kuchen für alle bereit. In einem Großraumzelt
besteht die Möglichkeit eine Massage zu genießen. Es
ist an alles gedacht. Nach dem großen Frischmachen treffen
sich Veranstalter, Helfer, Teilnehmer und Angehörige zur
Siegerehrung der Durchgekommenen' und zum anschließenden
Grillen. Eine schöne und praktische Thermotasse für
alle Teilnehmer wird dafür sorgen, dass auf mancher Kajaktour
der Hiddenseemarathon 2005 in guter Erinnerung bleiben wird. Im
Laufe des Grillabends entwickeln sich angenehme Gesprächsrunden
und es wird selbstverständlich viel gefachsimpelt...
Dank
Besonderen Dank gilt es wirklich den vielen engagierten Organisatoren
vom Stralsunder-Kanu-Club e.V. und den zahlreichen weiteren Helfern
auszusprechen. Neben der angenehmen Atmosphäre auf dem wunderbar
gelegenen Gelände des Clubs, ist sofort das Gefühl da,
dass man unter Sportskollegen willkommen ist und herzlich aufgenommen
wird.
Die hervorragende Organisation des Rennens mit der Unterstützung
durch Begleitmotorboote und auch die Entscheidung, das Rennen
aus Gründen der Sicherheit abzubrechen zeigt, dass die Stralsunder'
diese wahrhaft nicht einfach durchzuführende Veranstaltung
voll im Griff haben. (Man bedenke nur mal die Rahmenbedingungen
wie etwa : lange Gesamtstrecke, mitunter raues Revier seeseitig
von Hiddensee, auseinander gezogenes Teilnehmerfeld.) Vielen Dank
noch einmal!
Die Teilnehmer haben ebenfalls ihre Kompetenz unter Beweis gestellt.
Nicht nur paddeltechnisch, indem sie die aufkommenden rauen Bedingungen
gemeistert haben, sondern auch dadurch, dass sie den Weisungen
der Rennleitung hinsichtlich des Abbruchs widerspruchslos gefolgt
sind. Und zwar ohne zu meckern. Auch im Nachhinein, als festzustellen
war, dass das Unwetter nördlich vorbei zog, hat keiner die
Entscheidung der Rennleitung in Frage gestellt. Ich empfinde dies
als ein echtes Kompliment für die Organisatoren.
Hiddenseemarathon 2006
Vom ersten Hiddenseemarathon im Jahre 2002, den ich mit meinem
Anas Acuta' absolviert habe, sind mir bereits einige Kajaker
bekannt gewesen. Für manch einen Paddler mag die Veranstaltung
vielleicht ein Saisonhöhepunkt sein. Für mich trifft
das jedenfalls zu. Ich bin sicher, dass 2006 auch einige Teilnehmer
von diesem Jahr wieder dabei sein werden. Außerdem möchte
ich sportlich eingestellten Seekajakern Mut machen, vielleicht
mal über eine Teilnahme nachzudenken. Es ist eine echte Herausfordeung.
40,5 Seemeilen sind ohne Zweifel eine lange Strecke. Aber man
kann sich darauf vorbereiten und es auch schaffen. Und dazu ist
auch kein Rennseekajak' notwendig (es sei denn man hat Sieg-Ambitionen).
Für die angemessene Vorbereitung finden sich in den heimischen
Kanuvereinen sicherlich erfahrene Ansprechpartner. Meinen ersten
Hiddenseemarathon habe ich in meiner dritten Kajaksaison mit meinem
Anas Acuta' erfolgreich absolviert. Demnach sollten langjährig,
erfahrene Kanuten sich bestimmt dafür entsprechend vorbereiten
können.
Im Bereich der deutschen Seekajakszene gibt es meines Wissens
keine vergleichbare Veranstaltung, was eigentlich sehr schade
ist. In jedem Fall ist es ein tolles Seekajak-Erlebnis.... Bis
zum nächsten Jahr in Stralsund?
Andreas Thier