Nordfriesische Halligfahrt 2007
von Rainer Markgraf, Bilder von Rainer Markgraf und
Peter Nicolai
Seit Monaten habe ich mich auf die Kajaktour an der
nordfriesischen Küste gefreut und nun fahre ich von
Hamburg gen Schlüttsiel durch ein Gewitterschauer nach
dem anderen, nasses und böiges norddeutsches Schietwetter,
das mich an der Machbarkeit der geplanten Tour zweifeln
lässt. Im nachlassenden Regen schüttle ich dann die
Hände meiner Mitpaddler, ich freue mich Peter und Christian,
unsere beiden Führer zu sehen, die ich von den Nanuk-Kursen
her kenne und schätze, Andreas aus Berlin, mit dem ich
die Sea-Proficiency-Prüfung abgelegt habe, Peter aus
Minden, Stefan und einige für mich neue Kameraden.

Schnell die Boote gepackt, es ist gerade Hochwasser
und mit ablaufender Tiede wollen wir unser erstes Ziel,
die kleine Hallig Oland erreichen. Die Schauerböen kamen
aus Ost, also kein „Fetch“, so dass die See zwischendurch
spiegelglatt ist. Keine lange Etappe heute, also geht
es vor dem nächsten Gewitter gut bis zur Hallig. Zwischen
dem Festland-Damm und dem Verbindungsdamm nach Langeneß
liegt sie wie ausgespannt mit ihrer einzigen Warft.
Fährt dort trotz der kurzen Entfernungen eine Mofa in
Richtung auf die Warfthäuser zu, Bewegungs-Faulheit
auch bei den Halligleuten? Wohl doch nicht, beim Näherkommen
erkenne ich die kleine Motorlore, die vom Festland kommend
die Hallig erreicht, ein etwas unabhängigeres Transportmittel
als Schiffe, wie wir im trocken fallenden kleinen Hafen
noch verstehen werden. Aber auch der Damm wird bei Hochwasser
überspült, wir können es sehen auf der Strecke gen Langeneß,
die wir vor dem Anlegen noch aufsuchen. Dann geht es
bei noch recht hohem Wasser ans Kai von Oland, wo uns
auf einem Stein der Wahlspruch der Friesen „Liawer duad
as sloaf!“ begrüßt. Beim aktuellen Wasserstand ist es
kein Problem, die Boote an Land zu tragen, aber einige
Stunden später lässt der trocken gefallene Schlickhafen

verstehen, warum die Hallig-Bewohner froh über den
Damm sind. Die Zelte können auf einer kleinen „Anhöhe“
aufgebaut werden, frisches Wasser gibt´s aus einem Schlauch
am Kai, fröstelndes Duschen bei dem herbstlich anmutenden
Wetter. Der Begriff Anhöhe ist wirklich relativ, das
nächste Hochwasser, bei auf Südwest gedrehtem Wind in
den Hafen gedrückt, überspült den Kai und steht bis
fast an die Zelte. Wie Tieden-abhängig das Leben hier
doch ist! Auf dem ersten Weg zur Warft erledigen wir
zunächst die finanziellen Pflichten: ein Euro Kurtaxe
pro Kopf, ansonsten wird das Zelten freundlich und umsonst
geduldet. Das einzige

Lokal der Hallig öffnet Nachfrage-orientiert, wir
sind also offensichtlich zahlreich genug. Die Warft
spiegelt das Bedürfnis der Hallig-Bewohner nach Gemütlichkeit
und Geborgenheit in dieser oft rauen Umgebung wider:
hübsche weiße und rote reet-gedeckte Häuser, sorgfältig
gepflegte Vorgärten mit Blumen und

kleinen Windmühlen, zentral auf der Warft ein kleiner
Teich – Dorf-Idylle. Unser Spaziergang führt uns weiter
zur Hallig-Kirche, von außen ein normales ebenfalls
reet-gedecktes Haus, als Kirche erkennbar am kleinen
hölzernen Glockenturm, der auf dem Kirchfriedhof steht.
Einige Gräber sind relativ neu, alle hier Ruhenden heißen
Petersen, eine kleine Welt! Darunter ist auch Kapitän
Markus Petersen, was an die durchaus ruhmvolle Vergangenheit
der vielen Seefahrer erinnert, die von den Halligen
kamen. Am Rande des Friedhofs steht auch der verwitterte
Grabstein des 1947 verstorbenen Halligdichters Wilhelm
Lobsien, dessen Roman „Der Halligpastor“ noch im kleinen
Warftladen zu bekommen ist – für Hallig-Interessierte
ein sehr lesenswertes Buch. Wenn die Charaktere zuweilen
auch ein wenig klischeehaft geraten sind, so sind die
Schilderungen des Lebens auf den Halligen und besonders
die dichte Darstellung einer Sturmflut sehr beeindruckend!
Die Kirche ist von innen schlicht und doch anheimelnd,
neben dem Altar steht eine sehenswerte Renaissance-Kanzel,
unter der Decke hängt das Modell einer

dänischen Kogge, was uns an die wechselnden Herrschaftsverhältnisse
dieser Region erinnert. Unser Weg über die Warft führt
uns an der dem Hafen gegenüberliegenden Seite vorbei
am

einzigen reet-gedeckten Leuchtturm der Welt, ein
Festfeuer für das Dagebüller Fahrwasser. Hier befindet
sich auch der „Bahnhof“ der Hallig, bestehend aus einem
Abstellgleis neben der „Hauptstrecke“ Dagebüll – Oland
– Langeneß. Hier parkt ein kleiner Zug zum Transport
von Baumaterial und Versorgungsgütern, einige Motorloren
wurden mal eben vom Gleis gehoben und stehen auf der
Wiese. Mopedähnliches Knätern kündigt eine Lore an,
die gerade vom Festland kommt. Es ist das Gefährt des
Hallig-Postboten, der irgendwie genauso aussieht, wie
ich mir einen friesischen, Windgestählten Postboten
vorstelle: grauer Vollbart, Schiffermütze, dick gefütterte
Jacke und ein freundliches „Moin“ auf den Lippen. Als
mein fragender Blick auf die neben der Postkiste liegenden
Koffer fällt, bemerkt er kurz: „Ist wieder Touristenzeit
– Fracht für Langeneß.“ Und schon düst er nach Ablieferung
der Postkiste weiter über den Damm zur nächsten Hallig.
Wir wenden uns wieder zurück zum Hafen, ein kurzer Weg,
eine sehr überschaubare Welt. Was machen die Menschen
hier an langen Wintertagen? Aha, da sehe ich in der
Tür eines Hauses das Hinweisschild „Hallig-Bücherei“,
also Leseratten nach getaner Arbeit. Allerdings - Öffnungszeit
montags 16.00 bis 16.30 Uhr?! Na ja, die scheinen hier
doch überwiegend andere Interessen zu haben.

Nach einer erholsamen (vor allem ruhigen) Nacht geht
es am nächsten Morgen kurz vor Hoch wasser los gen Hallig
Hooge. Das Wetter ist schlecht, der Wind hat auf Südwest
gedreht, 5 Bft. Durchziehende Schauer sehen vom Wolkenbild
manchmal dunkel-bedrohlich aus, wir kommen aber entlang
der nördlich von uns liegenden Hallig Laneneß und der
kleinen Hallig Gröde im Süden ohne besondere Probleme
gut voran. Mein Bug klatscht bei den zunehmenden Wellen
oft kräftig ins Wellental, so macht das Paddeln trotz
der Anstrengung richtig Spaß. Von Langeneß sehen wir
nur die Warften wie kleine Inselchen liegen, sozusagen
hinter dem Horizont, dem „Punkt, an dem die Erdkrümmung
einsetzt“, wie Karl Dall einmal scherzhaft sagte. Ich
muss bei diesem Anblick auch an das Gedicht von Theodor
Storm denken: „Graues Geflügel huschet - neben dem Wasser
her – wie Träume liegen die Inseln - im Nebel auf dem
Meer.“ Ich fühle mich dieser rauen, den Kräften der
Natur so ausgesetzten Welt auf einmal sehr nah und verbunden.
Trotz des Gegenwinds geht es die etwa 8 sm nach Hooge
sehr rasch voran. Am Fährhafen vorbei paddeln wir zum
schönen Seglerhafen, der bei Niedrigwasser trocken fällt.
Wir kommen noch bei ziemlich hohem Wasserstand an, so
dass wir die Kajaks nicht durch Schlick schleppen müssen.
Auf der Wiese neben dem auf Pfählen stehenden Seglerheim
darf man Zelten, eine tolle Umgebung mit Blick auf den
hübschen Hafen und die Warften der Hallig rundum.
.
Am nächsten Tag soll es weiter gehen nach Amrum,
das Wetter sieht auch schön aus, die Sonne scheint,
aber unsere erfahrenen Kajakführer Christian und Peter
haben zweifelnde Mienen. Andreas, unser Hobby- Meteorologe
zeigt mir „Altocumulucs castellanus“-Wolken, Zeichen
starker vertikaler Luftbewegung mit instabiler Wetterlage.
Auch hohe Cumulonimbus mit typischem Amboss künden Gewitter
an, so dass eine klare Entscheidung gefällt wird: heute
wird es ein Hallig-Tag. Kurze Zeit später werden wir
in unserer Entscheidung noch mal bestätigt: mit dem
Fernglas sieht man gen Festland eine kräftige Windhose,
beeindruckend, wie sie das Wasser hoch saugt, da möchte
ich wahrlich nicht drin sein! Ein schöner Spaziergang
führt uns über die Hallig, sie ist recht groß mit ihren
10 Warften. Die am nördlichen Ende gelegene Warft des
Vogelwartes ist ein weiteres Beispiel wohnlicher Hallig-Idylle.
Die große Hanswarft hingegen ist für meinen Geschmack
etwas zu touristisch, hierhin strömen die Tagesausflügler
vom Fährhafen, mehrere Lokale schaffen eine so gar nicht
zur Hallig passende fast lärmende Atmosphäre. Ein interessantes
Erlebnis ist ein Besuch des Sturmflutkinos, in dem man
einen beeindruckenden Film über eine Sturmflut auf Hooge
sehen kann. Als Gäste des Seglerheims mit herrlichem
Blick auf den Sonnenuntergang endet dieser erholsame
Tag. Für unsere Fahrt nach Amrum kommt es auf gutes
Timing an: mit ablaufendem Wasser, aber nicht zu früh,
müssen wir so hinüber paddeln, dass wir den Kniepsand
von Amrum bei Niedrigwasser erreichen, damit wir nach
einer Pause dann mit auflaufendem Wasser den Seglerhafen
von Wittdün zu einem Zeitpunkt anlaufen, zu dem er schon
wieder ausreichend Wasser

führt. So warten wir noch eine Zeit ablaufenden Wassers
ab und müssen dann per„Schlickrutsche“ starten. Die
Überfahrt macht Spaß, das Wetter ist toll mit Westwind
Bft. 4. Zeitweise wirkt es etwas ausgesetzt, die Tour
ist aber relativ kurz und Risiken bestehen eigentlich
nur durch die stark motorisierte und somit schnelle
Insel- und Hallig-Fähre, deren Weg man tunlichst nicht
oder mit ausreichendem Abstand kreuzen sollte, da sie

erstaunlich rasch näher kommt. Mit dem Leuchtturm
von Amrum im Visier nähern wir uns zügig dem Kniepsand,
auf dem wir eine einstündige windig-zugige Pause machen.
Christian kennt das gut und legt sich in den Windschutz
seines „auf Kante“ gelegten Greenlanders, Peter baut
sogar sein Tarp auf, nicht zu Unrecht, der herbstlich-kalte
Wind kühlt uns ganz schön aus. Mit steigendem Wasserstand
geht es dann rasch zum Seglerhafen, vorbei am Fähranleger
der Insel. Die Zelte werden auf der Wiese vor dem Seglerheim
aufgebaut, sehr angenehm, dass Paddler von den Seglern
freundlich geduldet werden. Geld kostet´s nicht, aber,
so heißt es, man erwartet einen kulinarischen Besuch
des Segler-Lokals, was wir bei einer hervorragenden
Fisch-Mahlzeit auch gerne tun. Amrum kenne ich gut,
aber es ist erneut ein wunderbares Erlebnis, durch die
Dünen zu laufen, an dem malerisch gelegenen Dünensee
die Graugänse zu beobachten

und über den weiten Kniepsand gen Meer zu spazieren.
Amrum spiegelt die drei Landschaftszonen Schleswig-Hosteins
wider, Sand – Dünen – Marsch, für mich die schönste
der großen nordfriesischen Inseln, aber so ganz anders
als die Halligen, die ich auf dieser Tour richtig lieb
gewonnen habe. Der nächste Tag bringt die längste Etappe,
12 sm zurück nach Oland. Der Wind weht recht stark aus
West, Bft. 5-6. Beim Start fällt das kaum auf, wir sind
im Lee der Insel. Sobald wir aber das Südende passiert
haben, bläst es kräftig, die Wellen sind recht hoch
und mit Surfversuchen meinerseits geht es noch etwas
unsicher vorwärts, da fehlte mir bisher die Möglichkeit,
unter solchen Bedingungen zu üben. Peter fällt mein

Kampf mit den Wellen natürlich sofort auf und er
beweist mal wieder „pädagogisches“ Geschick. „Mach mal
die Rolle, die kannst du gut, das hilft deinem Selbstvertrauen“.
Recht hat er! Danach geht es – mit einem kleinen Tip
zur Surftechnik – schon deutlich besser und macht, nach
abgefallener Anspannung, auch wieder richtig Spaß. Etwas
anstrengend wird nach Ankunft auf Oland noch das Tragen
der Boote über den Damm, da wir ja jetzt auf der anderen
Seite des Hafens sind. Peter will nach dem erneuten
Wassern mein Boot die paar hundert Meter zum Hafen schleppen,
da der Einstieg am Steinufer etwas beschwerlich ist.

Aber da bestehe ich doch auf einem Wiedereinstieg
– ich kann doch als Seekajaker nicht zu Fuß in den Hafen
einlaufen! Nach einem schönen letzten Abend auf Oland
mit leckerem Bauernfrühstück im Hallig-Restaurant (arme
Köchin, die diese riesigen Mengen für uns alle zubereiten
musste!), paddeln wir bei ziemlich schlechtem Wetter
mit kräftigem Rückenwind zurück nach Schlüttsiel. Ein
tolle Tour endet, trotz eher herbstlichen Wetters im
Juli. Ich habe mich wieder einmal mit Peter und Christian
sicher gefühlt, habe viel dazu gelernt, großen Spaß
in einer kameradschaftlichen Gruppe gehabt und eine
mich faszinierende Halligwelt kennen gelernt. Auch nach
dieser Tour muss ich sagen, dass die Nordsee mein Lieblingsgewässer
ist, auch wenn viele klagen, dass oft kein Wasser da
ist. Aber gerade das ist es, was

mich fasziniert: man muss sich auf diese besonderen
Gegebenheiten der Natur einlassen, seine Tour danach
planen und die Kräfte der Natur nutzen, dann be- kommt
man einen tiefen Eindruck von der Schönheit dieses einzigartigen
Reviers mit seinen Sandbänken, Prielen, dem Watt und
den netten kleinen trocken fallenden Häfen, die anders
als auf der Ostsee nicht überlaufen sind – Wattensegler
sind doch zum Glück die Ausnahme. Vom diesjährigen Nordsee-Paddel-Erlebnis
werde ich noch lange zehren, es wird aber sicher nicht
die letzte Tour in diesem tollen Revier gewesen sein! |